Unter dem Schnee in den Lanzo Tälern

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Unter dem Schnee in den Lanzo Tälern

 

Die Valli di Lanzo sind drei parallel verlaufende piemontesische Täler in den Alpen. Bei der etwa 35 km westlich von Turin, am Alpenrand gelegenen Kleinstadt Lanzo Torinese, vereinen sich die Täler. Das nördlichste der drei Lanzo-Täler ist das Val Grande, das mittlere das Val d’Ala. Im Süden folgt schließlich noch das Valle di Viù. Jedes der Täler ist ganz anders und dennoch ist ihnen eines gemein: Der Klimawandel und die immer wärmer werdenden Temperaturen wirken sich gerade auf die Täler in mittelhohen Alpenrandlagen stark aus.

Von Steinböcken, Hütehunden und dem morbiden Charme der Belle Epoque

Wir treffen die Bergführer Maurizio und Andrea in Ala di Stura im historischen Belle Epoque Grand Hotel Ala di Stura, das zwischen den maroden kleinen Steinhäusern mit ihren Schieferdächern etwas eigenartig wirkt.

Andrea erklärt: „Früher gab es hier viele Schmuggler, die Waren über die Berge ins nahe gelegene Frankreich und von dort zurückbrachten. Ein anstrengender „Handel“. Später, als ab etwa 1910 die Touristen zur Sommerfrische in die Berge kamen, wollten auch sie auf die Gipfel. Allein war es für sie unmöglich und sie benötigten unbedingt Bergführer. Wer war da schon erfahrener als die Schmuggler, die so zu einem legalen Einkommen gelangten. Im Winter sollte man bis heute lieber nicht ohne Führer gehen. Durch die immer wärmer werdenden Temperaturen steigt das Lawinenrisiko von Jahr zu Jahr.“

 

Ala di Stura

Das Thema des Klimawandels soll uns in den gesamten nächsten Tagen begleiten. Doch jetzt geht es zunächst auf eine kleine Wanderung zu einem Ziegenhof.  Cinzia und ihre Partnerin Renata – beide Aussteigerinnen mit Bürojob vorab – halten hier rund 50 Saanen, eine spezielle Ziegenrasse, die pro Tag rund zweieinhalb Liter Milch gibt. Derzeit ist es etwas weniger, erklärt Cinzia, denn der Nachwuchs – rund 30 Zicklein – ist da und wird natürlich erstrangig  mit der Milch bedient.

Vom Überschuss werden dreierlei Käsesorten produziert, gebackener Ricotta, ein mittelgereifter und ein gereifter Chevrin, für die die Sennerinnen des Cá du Roc bereits seit Jahren mehrfach ausgezeichnet wurden. Ein zufriedenes, schlichtes Leben mit gutem Auskommen ist der Lohn für viel Arbeit.

Nach kurzer Relaxpause im kleinen Hotel Spa ruft das Abendessen: Risotto mit grünem Spargel, Agnolotti mit Fleischfüllung und am heißen Stein gebratene Steaks schmecken köstlich zum roten Vino sfuso. Die Küche in den Bergen ist deftig und köstlich. www.grandhotelaladistura.it

 

Schneeschuhwandern zur Pian della Mussa

Gut erholt treten wir am kommenden Morgen unsere Schneeschuhwanderung zum Hochplateau Pian della Mussa bei Balme an.

Dabei werden wir von einem Natur-Guide begleitet, der über die Besonderheiten dieses Landstrichs und die Veränderungen durch den Klimawandel erzählt. Weil man das Plateau im Winter nur zu Fuß erreichen kann, bleiben die wenigen Berghütten geschlossen bis zum späten Frühjahr. Dann locken tausende Blumen Wanderer an, die Schönheit des Hochtals zu bewundern. Nach dem Abstieg werden wir auf der Weiterfahrt nach Balme von einem Naturspektakel überrascht.

 

Steinböcke und Bergsteigerdörfer

Ein Rudel Steinböcke steht auf der Straße und leckt aus den Vertiefungen das Streusalz des vergangenen Winters. In absoluter Gelassenheit dürfen wir sie aus wenigen Metern Entfernung beobachten. Unvergesslich!

Zum Mittagessen kehren wir in Balme ins Rifugio Les Montagnards ein. Ein uriges Lokal, das mit ganz speziellen Gerichten aufwartet: Blaubeer-Tagliatelle mit Nusssoße, Eselgulasch mit Peperoni und Brasato in Rotweinsoße sind einfach köstlich. Dazu wird wahlweise Wein serviert oder das Bier der ortseigenen Brauerei. Köstlich! Wie gut, dass die Schneeschuhwanderung etwas anspruchsvoller war!  www.lesmontagnards.it/

Wir bleiben noch etwas in Balme, dem ersten Bergdorf im Piemont, das sich der Vereinigung der “Villaggi degli Alpinisti” – Bergsteigerdörfer – angeschlossen hat. Gianni Castagneri ist der Bürgermeister  des Ortes und führt uns durch das Ecomuseo delle guide alpine, das die Geschichte der alpinen Bergführer erzählt. Früher diente das kleine Gebäude als Municipio und sogar als Grundschule! www.ecomuseobalme.it/

 

Usseligo im Val di Viù

Wir wechseln ins Val di Viù nach Usseglio. Bereits auf der Fahrt merkt man einen Unterschied zwischen den Tälern. Irgendwie scheint das Tal etwas belebter. Der Schein trügt! Abends nach dem Check-in im Hotel Rocciamelone, einem herrlichen Jugendstil-Hotel aus dem Jahr 1925, erfahren wir, dass in den acht Ortsteilen von Usseligo nur noch 190 Menschen wohnen. In den vergangenen drei Jahren wurde hier nur ein Kind geboren. Wer hier nicht, wie unsere junge Gastgeberin, die in vierter Generation das Hotel führt, im Tourismus sein Auskommen hat, wandert in die größeren Orte außerhalb der Täler ab. Einige Produzenten lokaler Produkte bleiben und bewahren so die Authentizität der Täler. Hersteller von Thymian- und Arquebuse-Likör, regionalem Honig, dem wundervollen Toma-Käse oder dem zarten Lardo wissen, dass ihre Produkte nur hier ihren unverwechselbaren Geschmack erhalten.

Beim Abendessen im Albergo Rocciamelone dürfen wir einiges davon verkosten und spätestens der Spargelflan mit Fonduta di Toma di Lanzo überzeugt jeden noch so anspruchsvollen Gourmet.

www.albergorocciamelone.com/

 

Museo Civico „Arnaldo Tazzetti“ und Mineralienmuseum

Am nächsten Tag regnet es in Strömen, daher heißt es ein Alternativprogramm zur geplanten kleinen Wanderung zu finden.

So klein der Ort ist, so leicht fällt es dennoch, denn Usseligo ist reich an Historie und Kultur. Das Museo Civico „Arnaldo Tazzetti“ liegt in der kleinen umfriedeten Pfarrei aus der Romanik. Es beherbergt Sammlungen, die vom künstlerischen, kulturellen und naturalistischen Erbe der Lanzo-Täler erzählen. Die Kunstsammlung umfasst Werke aus sechs Jahrhunderten, darunter Kirchengemälde aber auch Werke des heimischen Künstlers Cesare Ferro Milone. Anschaulich wird in der Archäologischen Abteilung, wie lange die Täler bereits besiedelt waren. Funde aus der Jungsteinzeit, der Römerzeit und dem Mittelalter zeugen davon. Die naturwissenschaftlich- heimatkundliche Abteilung beschreibt lokale Traditionen sowie Fauna und Flora.

Auch eine kleine Mühle im Ort aus dem 17. Jahrhundert zeugt vom Leben vergangener Tage. Dass es unweit zusätzlich sogar ein Mineralienmuseum gibt, ist wirklich erstaunlich. Hier erfahren wir, dass es in den Lanzo Tälern schon immer Bergbau gab. Es ist eine der Mineralien reichsten Gegenden Italiens. Sogar Kobalt wurde hier gefunden!

 

Ristorante Furnasa

Mittags sind wir zu Gast im Ristorante Furnasa. Was Chef Silvio Famil hier zaubert ist nahezu Sterne würdig. Nach einem Aperitivo folgt ein Kartoffel-Ricotta Törtchen mit pochiertem Ei, Ziegenkäse Fonduta und Trüffel. Danach serviert Silvio Tagliatelle mit Rehragú sowie als Hauptspeise Lachsforellenfilet mit Bergkräutern und einen Flan mit „Gutem Heinrich“ (Wildkräuterspinat). Den Abschluss bildet eine perfekt cremige Zabaione mit hausgemachtem Gebäck. Worauf ein Genepy natürlich nicht fehlen darf!

Danke an die ganze Familie, die hier in der Küche und im Service mitgewirkt hat. www.ristorantehotelfurnasa.com/

 

Colle del Lys – am Pass zum Susa Tal

Die Shuttle-Fahrt nach Colle del Lys fällt – nicht verwunderlich – einem Mittagsschlaf zum Opfer. Angekommen auf 1311 Höhenmetern erwartet uns dort Livio in seinem Rifugio Colle del Lys, einer typischen Berggaststätte mit einfachen, aber sauberen und großzügigen Beherbergungszimmern. Noch ist es nebelig und wir sehen kaum, wo wir sind. www.rifugiocolledelys.it

Erst als wir die Wiesen der Azienda agricola Il corno erreichen, lichtet es sich etwas. Hier werden Hütehunde von Schäfern für ihre Arbeit mit der Herde ausgebildet. Faszinierend, wie perfekt sie die gezielten Kommandos ausführen.

 

Hütehunde als Helfer der Schäfer

Notwendig wurde das, weil die Natur im Wandel ist und es immer mehr Wölfe in diesem Nordwestzipfel Italiens gibt. Da sind gut ausgebildete Hütehunde zum Schutz der Herden  natürlich sehr gefragt. Abends erfahren wir mehr zum Thema eines Wolf-Projekts der Città Metropolitana di Torino und wie man versucht durch unterschiedliche Maßnahmen ein Zusammenleben von Wolf und Mensch zu ermöglichen.

Generell befindet sich das Leben in den Gebirgstälern des Hinterlandes von Turin stark im Umbruch. Besonders im Winter, der in diesen mittleren Höhenlagen nicht mehr so zuverlässig weiß ist, wie früher. Obwohl man von hier auf Berge blickt wie den Rocciamelone, den Uja di Ciamarella und viele andere, die über 3500 Höhenmeter aufweisen.

Interreg Projekt „Alpine Space – Beyond Snow“

Hüttenwirt Livio, der vor einigen Jahren neben das Rifugio einen Baby- Snowpark gebaut hatte, klagt: „Anfangs konnten wir ihn für rund 90 Tage im Winter öffnen. In diesem Jahr waren es nurmehr acht Tage. Die Instandhaltung und Versicherungen kosten aber gleich viel bzw. sogar mehr als damals.“ Skifahren, Aktivitäten wie Langlaufen, Eislaufen, Eisklettern suchen nun nach attraktiven, nachhaltigen Alternativen, damit Winterurlauber in der Region auch weiterhin etwas unternehmen können. Ob die Winter nun weiß sind – oder eben nicht. Schneesicher sind viele Alpenrand-Destinationen in Zeiten des Klimawandels längst nicht mehr! Wie man dieser Herausforderung begegnen kann, welche neuen Möglichkeiten für den Wintertourismus in Planung oder bereits umgesetzt sind, wird derzeit im Interreg Projekt „Alpine Space – Beyond Snow“ heiß diskutiert.  Ein länderübergreifender Austausch mit rund zehn weiteren betroffenen Gebieten verspricht künftige Erfolge.

www.alpine-space.eu/project/beyondsnow/

 

Ausflüge zur Sacra di San Michele und nach Turin

Die Nähe zu Sehenswürdigkeiten wie etwa der Sacra di San Michele, einem spektakulär auf einem Felsen gelegenen Klosterkomplex, hoch über dem Susa-Tal, bietet eine interessante Ausflugsmöglichkeit. Das Festungskloster von 983 war Romankulisse von Umberto Ecos „Der Name der Rose“. (Auf  deutschlandfunk.de findet man einen schönen Beitrag von Kollegin Katrin Kühne)

www.sacradisanmichele.com/

 

Natürlich darf auch eine Besichtigung von Turin, der einstigen Hauptstadt Italiens (1861), nicht fehlen. Allein der Besuch des Nationalen Kinomuseums (www.museocinema.it) ist einen ganzen Tagesaufenthalt wert. Hier erfährt man alles zur Filmgeschichte, denn Turin ist die Geburtsstätte des Bewegtbildes. Die Stadt selbst ist dank ihrer reichen Geschichte eine eigene Reise und einen eigenen Bericht wert. Ein „süßer Stop“ in einem der historischen Cafés mit einer Merenda Reale, der berühmten Hei­ßen Schokolade mit Keksen, wie sie das Adelshaus Savoyen liebte, darf aber auch bei einem Kurzaufenthalt nicht fehlen. Eine Empfehlung ist die Gelateria/Caffé Storico Pepino.

 

Infos über:

www.turismotorinoeprovincia.it

www.turismovallidilanzo.it

 

Persönlicher Tipp von LastSecrets.de:

Besuchen Sie die Valli di Lanzo im späten Frühjahr, wenn die Bergwiesen blühen oder im immer länger werdenden Herbst, wenn das Laub die Landschaft bunt einfärbt. Und im Sommer möglichst nur an Wochentagen!

 

 

 

 

 

 

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Alle Inhalte unterliegen dem Copyright und spiegeln lediglich die Meinung der Autorin wieder. Adelheid Wanninger, 2020