La Réunion – Das andere Frankreich
Ein Leben vom Vulkan geprägt
Durch die großartige Vulkanausstellung im Lokschuppen Rosenheim konnten Besucher viel über die unterschiedlichen Arten von Vulkanen lernen, auch über die möglichen Gefahren und wie man mit diesen umgeht. Vulkane prägen Landschaften und die Menschen, die mit ihnen leben.
Autorin Adelheid Wanninger ist nach La Réunion gereist – einem französischen Überseedépartement, das rund 9000 Kilometer von Zentraleuropa entfernt liegt und als echte anerkannte Region Frankreichs dennoch zu Europa gehört. Es liegt zwischen Madagaskar und Mauritius im Indischen Ozean und wurde erst Mitte des 17. Jahrhunderts entdeckt und besiedelt. Gezeichnet ist die kleine Insel mit ihren rund 2500 Quadratkilometern durch den längst erloschenen Vulkan Piton des Neiges. Mit seinen 3070 Höhenmetern ist er der höchste Berg im gesamten Indischen Ozean. Aber da ist auch noch ein weiterer Vulkan: Der Piton de la Fournaise, der bis heute zu den aktivsten Vulkanen der Welt zählt. Erst im Sommer 2023 kam es hier wieder zu starken Aktivitäten, wobei der Vulkan nicht gefährlich explosiv ist.
Geprägt von zwei Vulkanen
Während nun einer der beiden Vulkane bereits erloschen ist, der andere hingegen junge, frische Vulkanerde hinterlassen hat, darf man von einem Segen für die Reunionesen sprechen.
Ursprünglich und wild, leuchtend und vielfältig, teils karg, teils üppig und stets intensiv: Das Leben auf La Réunion ist geprägt von der Kraft des Vulkans, kombiniert mit den Klimata des Ozeans. Rund 42% der Insel sind Landschaftsschutzgebiet! Ein Paradies, in dem jede Region ihre ganz eigene Atmosphäre versprüht. Von den Talkesseln, die zum UNESCO Weltnaturerbe erklärt wurden, über die Regenwälder, Vulkanlandschaften und Lagunen, bis hin zu kreolischen Dörfern, die teils nur zu Fuß zu erreichen sind – nichts ist zufällig, alles ist gekennzeichnet von der Existenz des Vulkans.
Die ersten Siedler brachten Pflanzen, Gewürze, Kulturen und Anbautechniken mit, die fortan das ehedem karge Gesicht der Insel stark veränderten. Die Voraussetzungen für ein gutes Gedeihen aller Pflanzenarten waren auf dem jungen Lavaboden gegeben.
Hatte man zunächst versucht die Arabica-Sorte Bourbon pointu verstärkt zu kultivieren, schwenkte man doch zum erfolgreicheren Zuckerrohranbau über. Besonders großen Erfolg konnte man aber mit einem der wichtigsten Gewürze der Insel verzeichnen: der Vanille.
Die echte Bourbon Vanille
Vanille ist eine rankende Orchidee. Da es hier auf La Réunion zwar eine lebhafte Flora, aber eine magere Fauna gibt und somit auch die zur Bestäubung notwendigen Insekten und Kolibris (so wie in Mexiko vorhanden) fehlen, ist man auf der Insel auf eine von Hand durchgeführte Bestäubung angewiesen. Ein mühseliges Unterfangen, wie der 66jährige Vanilleplantagenbesitzer Louis Leichning, erklärt.
Interessierte führt er nicht nur durch seinen Betrieb, sondern setzt sie auch spontan in seinen Jeep, um sie über unwegsame Pfade in den Palmenwald bergauf zu fahren und ihnen den Anbau der Rankpflanzen, die stets eine Stützpflanze wie eine Palme benötigen, zu zeigen. Hier, in der tropischen Luftfeuchtigkeit, finden die Orchideen ihre besten Voraussetzungen. Jeden Tag muss der Vanilleproduzent nach seinen Schätzen sehen, sie pflegen und binden, damit sie nicht in unerreichbare Höhen ranken. Dann muss er nach der Reife der Blüten sehen, die er von Hand bestäuben muss.
Das Problem ist, dass der männliche Samen nicht mit den weiblichen Fortpflanzungsorganen der Zwitterpflanze in Kontakt treten kann. Ein Blütenblatt ist schlicht „im Weg“. Also nimmt Louis ein Holzstäbchen und vollzieht, was die Natur hier auf La Réunion nicht leisten kann. Mühsam aber lohnenswert, denn die „Bourbon Vanille“ von La Réunion ist die beste und geschmacksintensivste der Welt. Problematisch ist, dass dieser Begriff nicht geschützt ist und man auch Ware aus Madagaskar so bezeichnen darf.
Der große Unterschied
„Die Käufer haben keine Ahnung davon, worin der große Unterschied liegt. Wir geben hier den Pflanzen und den Herstellungsprozessen wie der Fermentierung die notwendige Zeit, um zum bestmöglichen Ergebnis zu kommen. Auf Madagaskar können sich die vorwiegend armen Bauern diese Zeit nicht nehmen und produzieren daher schnell und auf Masse. Dazu kommt, dass unsere Vanille einen weit intensiveren Geschmack vorweisen kann, aufgrund des guten Vulkanerdreichs.“ Die beste Qualität der Schoten, die zunächst gedämpft, getrocknet und in Holzkisten gereift werden, darf sich Vanille Givrée IGP nennen. Die Herkunftsbezeichnung möchte man künftig mit dem Zusatz „Vanille de l´ile de la Réunion“ kennzeichnen.
Auch Zimt, Gewürznelken, Ingwer und Kurkuma sowie die Muskatnuss profitieren vom Boden des Vulkans. Das Weihnachtsgewürz Four Spices bzw. Quatre-épices, ein Blatt, welches die Aromen von Pfeffer, Nelke, Muskat und Ingwer in sich vereint, ist ebenfalls hier beheimatet. Und natürlich wirkt sich diese Gewürzvielfalt positiv auf die heimische Küche aus, die von der Intensität der Aromen profitiert.
Gewürzvielfalt und Küche
In Saint Suzanne treffen wir auf Chefkoch Jacky in seinem Kochstudio Far Far Kréol. Er zählt zu den indisch-stämmigen Kreolen der Insel und lässt wirklich kein Gemüse und kein Gewürz seiner Insel ungenutzt. Den Kochkurs- Teilnehmern zeigt er, wie die Aromen richtig eingesetzt werden und was alles beispielsweise für ein aromatisches Cari zum Einsatz kommen kann. Ob Huhn oder Fisch als Basis: Die hier beheimatete Baumtomate, die eher wie eine Maracuja aussieht, darf nicht fehlen.
Dazu reichlich Safran, der hier allerdings kein Safran im eigentlichen Sinn ist, sondern frisch geriebenes Kurkuma, welches aus der getrockneten Wurzel einer Pflanze stammt und dem Cari den typischen Geschmack sowie die leuchtende Farbe verleiht. Auch die jungen Blätter mancher Gemüse, Brèdes genannt, werden kleingeschnitten und dazu gereicht. Nie fehlen darf zu einem Cari ein extra serviertes Schälchen an Hülsenfrüchten wie Bohnen oder Linsen, eine scharfe Mischung aus Chilli, Knoblauch und feinst geschnittener Frühlingszwiebel in Öl sowie selbstverständlich der Reis.
Der Duft der Gewürze und somit auch der kreolischen Küche paart sich insbesondere auf den Märkten der Städte immer mit dem Duft der exotischen Blumen. Wachsblumen, Orchideen, Hortensien und viele andere zieren nicht nur die heimischen Vasen der Insel- Franzosen, sondern werden natürlich in Kosmetik und zu Parfüm verarbeitet.
Aromen und Essenzen
Aus Frangipani, Ylang Ylang, Vetiver, Citronella, Cryptomera, Baie Rosé und Geranium, die alle auf vulkanischer Erde besonders gut gedeihen, werden feinste Essenzen gewonnen und zu betörenden Duft-Kreationen veredelt.
In der Kooperative CAHEB in Le Tampon, einer Genossenschaft für ätherische Öle, erklärt die Präsidentin der Vereinigung Marie-Rose Severin den Anbau und erzählt zu den Produktionsschritten bis zur Destillation der feinen Öle. Interessenten zeigt sie in Kursen, wie man eigenes Parfüm mischen kann und was alles dazu notwendig ist.
Produzieren könne man weit mehr an Duftölen, die Nachfrage sei groß, erzählt die ehemalige Beamtin, die sich seit Jahren ganz ihrer neuen Aufgabe widmet. Jeder Produktionsschritt geschieht in Handarbeit und sei sehr aufwendig. Bis zum Sechsfachen könnte man verkaufen. Erst vor wenigen Wochen sei „Le Nez“ Jacques Cavallier, Chef Parfümeur von Louis Vuitton bei ihr gewesen, um speziell ihr Geranium-Öl einzukaufen. Es sei das Beste, welches er je gerochen hätte. Woran es liegt? Das Geheimnis läge in der jungen Vulkanerde, die den Pflanzen Kraft und Intensität verleihen würde, so Marie-Rose.
Auch Yohny Mignon, den wir in Entre-Deux treffen, bestätigt die hohe Konzentration der Pflanzenwirkstoffe in den Kräutern auf La Réunion. Er muss es wissen, denn er ist studierter Phytotherapeut und kann zu nahezu jeder Pflanze am Wegesrand eine Geschichte über deren Wirkung zu erzählen.
Früchte in hohen Höhen
In den Gärten der hübschen kreolischen Häuser reifen Litschis, Mangos, Maracujas und vieles andere. Die hohe Luftfeuchtigkeit sowie die großen Temperaturunterschiede lassen sogar Weintrauben reifen in den Talkesseln, die der abgerutschte Piton de la Neiges bildete. Fruchtbares Land sogar in Höhenlagen von Cilaos, einem Ort in einem Hochtal, das man sich mit längerer Anfahrt und 400 Serpentinen erobern muss! Das fruchtbare Land zog nicht nur früher Menschen der ganzen Welt an, die sich hier niederließen.
Wandertourismus
Die besondere Landschaft und Morphologie von La Réunion lockt auch heute Touristen von weither an. Es sind die Strände, das Meer, die Täler zwischen den Pitons aber insbesondere die Vulkane, die wie magisch anziehen und zu Wanderungen in ihren so eigenwilligen Strukturen einladen. Schier endlose Routen überziehen die gesamte Insel. Eine der schönsten führt vielleicht im Süden zum Piton de la Fournaise. Allein bei der Anfahrt genießt man die Landschaftswechsel von der Küste mit den dahinterliegenden Zuckerrohrplantagen, dem Hügelgebiet mit weitem Blick auf Berg und Küste bis hin zur kargen Mondlandschaft zu Füßen des Vulkankegels, die einem schier den Atem raubt. Der Ausblick auf das Vallée de la Riviére des Remparts ist grandios, das Durchqueren der Plaine des Sables, einer rötlichen Sandebene, ist ein besonderes Erlebnis.
Mächtig steht er da, der Piton de la Fournaise und schenkt mehreren Kratern an seinem Fuß den Raum für ihren ganz eigenen Auftritt. Beim Betrachten wird der Mensch ganz klein und kann sich für den Moment zurücknehmen, um zu reflektieren. Manch heimischer Plantagenbesitzer wird vielleicht auch innehalten und danken, für das Geschenk des nährstoffreichen Bodens.
Infos unter:
Alle Bilder und Text: Adelheid Wanninger